Handelsblatt. Von Florian Kolf.
Dieser KI vertraut der deutsche Einzelhandel
Von Otto über Armedangels bis Edeka: Immer mehr Händler binden die Software von Paretos in ihre Lieferkette ein. Sie sparen dadurch viel Geld – und müssen weniger Waren wegwerfen.
Düsseldorf. Für einen Händler wie Edeka mit mehr als 3500 selbstständigen Kaufleuten, versorgt aus Dutzenden Lagern sieben regionaler Großhandelsbetriebe, ist entscheidend, welche Waren wann bestellt und wie auf die Lager verteilt werden. Denn nur dann finden Kunden durchgehend ihre gewünschten Produkte in den Regalen.
Bisher wurde das mit Excel-Listen berechnet. Doch bei rund 10.000 unternehmerischen Randbedingungen für Lagerverfügbarkeit, Preise oder Speditionen ergibt das pro Region mehr als zehn Milliarden mögliche Zuordnungen. Ein Aufwand, der sich nur wenige Male im Jahr umsetzen lässt.
Seit Kurzem setzt Edeka dafür Software des Start-ups Paretos ein. Das Programm wertet mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) permanent und automatisch alle verfügbaren Daten aus und bietet ständig Lösungsvorschläge an, um Lieferrouten, Lagerorte oder Preise zu optimieren. „Ihr Einsatz verschafft uns messbare Kostenvorteile für unterschiedlichste Herausforderungen entlang der Lieferkette“, teilte der Händler mit. Und auch der Ausschuss durch zu viel bestellte Ware lässt sich so verringern.
Edeka ist nur einer der Kunden, die Paretos mit dieser KI-Anwendung unterstützt. Auch Händler wie Otto Group und Armedangels oder der Lieferdienst Hello Fresh optimieren mit der Software ihre Lieferkette.
„Alle reden über generative KI, also Sprachmodelle wie ChatGPT“, erklärt Paretos Co-Gründer und CEO Thorsten Heilig im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Wir aber bieten eine Business-KI, die die genau richtige Software für diesen Anwendungsfall ist.“ Und nun bekommt das junge Unternehmen eine Millionenfinanzierung, die es ihm erlaubt, mit diesem Geschäftsmodell weiter zu expandieren.
Investoren geben Millionen Euro für die Expansion
In einer Series-A-Finanzierungsrunde investiert eine Gruppe Investoren unter der Führung von Acton Capital weitere 8,5 Millionen Euro in Paretos. Die Bestandsinvestoren UVC Partners und LEA Partners sind ebenfalls wieder dabei. Auch Angel-Investoren wie der Blinkist-Gründer Niklas Jansen und der ehemalige Vodafone-CEO Hannes Ametsreiter haben sich beteiligt.
„Während viele KI-Technologien noch im Hype-Stadium stecken, hat Paretos eindrucksvoll gezeigt, dass ihre Decision-Intelligence-Lösung langfristigen Mehrwert für Unternehmen schafft“, erklärt Fritz Oidtmann, Managing Partner bei Acton Capital. Das spiegele sich direkt in den Geschäftszahlen wider.
Mit dem „Decision Intelligence“ genannten Ansatz können Unternehmen große und komplexe Datenmengen analysieren, mithilfe von KI automatisiert Prognosen und Entscheidungsvorschläge erstellen und daraus dann Maßnahmen ableiten.
Unternehmen wollten genau wissen, welchen Einfluss eine Technologie auf ihr Geschäft hat, und erwarteten, dass der Mehrwert nicht erst in fünf Jahren eintritt, sagt der Paretos-Gründer: „Wir können anhand unserer bisherigen Kunden dokumentieren, dass sich der Einsatz unserer Software schon im ersten Jahr rechnet.“
Armedangels, Spezialist für nachhaltige Mode, analysiert seit einiger Zeit seine Bestell- und Retourendaten mithilfe der KI von Paretos. So kann er besser einschätzen, welche Farben und Größen sich schlecht verkaufen. Im Ergebnis produziert Armedangels künftig 40.000 Teile pro Jahr weniger und reduziert so den unverkauften Lagerbestand, der mit hohen Rabatten und entsprechend geringer Marge abverkauft werden müsste.
Otto Group nutzt KI, um Nachbestellungen präziser zu planen
Auch die Otto Group, die selbst zahlreiche KI-Anwendungen entwickelt hat, sieht durch den Einsatz von Paretos messbare Verbesserungen. Sie setzt die KI beispielsweise bei der Tochter Lascana ein, um dort die Nachfrage und die Nachbestellung von bis zu 80.000 verschiedenen Artikeln automatisiert zu prognostizieren. Die Entscheidungen seien dadurch „hochpräzise“, bestätigt Lascana-Manager Steffen Köhn und die Kosten beispielsweise für die Logistik deutlich gesunken.
Experten bestätigen das Potenzial der Technologie. So stuft das Applied AI Institute for Europe Paretos als eins von 27 deutschen KI-Start-ups als besonders vielversprechend ein.
Wie Unternehmen die Implementierung von Künstlicher Intelligenz gelingt
Das Marktforschungsinstitut Gartner hebt das Start-up als eins von neun europäischen Unternehmen heraus, die beispielhaft für die Entwicklung von Decision Intelligence stehen. Das Marktvolumen in diesem Bereich der KI-Anwendung soll sich nach Einschätzung der Experten von Markets and Markets bis 2030 auf 50 Milliarden Euro vervierfachen.
Heilig hat Paretos zusammen mit dem Machine-Learning-Experten Fabian Rang Mitte 2020 in Heidelberg gegründet. In einer Preseed- und einer Seed-Runde konnten sie als Frühphaseninvestment bereits zehn Millionen Euro Kapital für den Aufbau ihres Unternehmens einwerben.
KI-Einsatz jenseits des Hypes um ChatGPT
„Wenn wir unsere Technologie bei Kunden vorstellen, geht es heute nicht mehr darum, ob man KI einsetzt, sondern nur noch wann und wie“, berichtet Heilig. Und: „Die Krise ist für uns auch eine Chance“, sagt der Paretos-Gründer. Der Druck für die Unternehmen, etwas zu verändern, werde in dem sich dynamisch entwickelnden Markt immer größer.
Der Vorteil von Paretos sei, dass die technischen Hürden bei den Kunden für die Anbindung sehr gering seien, „Voraussetzung ist nur, dass die Daten in irgendeiner Form digital vorliegen“, erklärt der Gründer. „Wir können auch Datensilos in den Unternehmen zusammenführen.“
Paretos braucht die Finanzierung für die Entwicklung. Denn das Unternehmen arbeitet über ein Lizenzmodell. Das ermöglicht den Kunden einen leichten und kostengünstigen Einstieg, hat aber für Paretos den Nachteil, dass das Softwareunternehmen viel vorfinanzieren muss – Geld, was dann für Investitionen erst einmal fehlt.
Eine Expansion in weitere europäische Länder ist aber aktuell erst mal nicht geplant. „Der deutschsprachige Markt bietet uns noch sehr viel Potenzial“, so Heilig, „deshalb wollen wir in den nächsten zwei Jahren darauf den Fokus legen“.